by Carmen Stehle

Im Frühjahr dieses Jahres erlebten wir Arbeitnehmer*innen in Deutschland, vermutlich sogar in der ganzen Welt einen Change Prozess im Zeitraffer, und zwar ohne Change Manager*innen, kluge Seminare und Umfragen. Wir wurden einfach nach Hause geschickt, in das sogenannte Homeoffice – bisher vermeintlich Privileg einiger weniger.

Vielleicht hatten wir vorher schon darum gekämpft auch mal zu Hause arbeiten zu dürfen. Vielleicht hatten wir Großraumbüro und Kantinenessen schon lange satt, vielleicht aber liebten wir Meetings, trafen gerne Kollegen*innen und schätzten die Tür und Angelgespräche – ganz egal, auf einmal waren wir alle gleich. Die Auflösung der Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit, das mobile Arbeiten unabhängig von Zeit und Ort, die Digitalisierung der Prozesse, das Finden virtueller Teams – kurz die ganze Zukunftsmusik von New Work war von einem Tag auf den anderen Realität.

Wer sich hier sklavisch an vorhandene Prozesse halten wollte, wer nicht den Mut aufbrachte sich selbst zu strukturieren, wer nicht improvisieren und mutig auf der Chaos-Welle surfen konnte, der geriet ernsthaft in Schwierigkeiten. Denn dem ganzen wurde ja noch ein Sahnehäubchen verpasst. Eltern bekamen von einem Tag auf den anderen noch neue gänzlich ungewohnte Jobs dazu, nämlich die der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte.

Jetzt, wo uns vielleicht Vergleichbares wieder bevorsteht, ist es Zeit zu rekapitulieren. War das, was wir erlebt haben, der Beginn eines goldenen Zeitalters, einem Zeitalter, in dem die traurige Diskussion um die Gleichberechtigung der Frau in der Arbeitswelt endlich ein Happyend erfährt, ein Zeitalter, in dem wir wirklich tragfähige Lösungen zur Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf fanden, bei denen weder Frauen noch Kindern den Kürzeren ziehen?

Die Antwort lautet jein. Vor allem Frauen, interessanterweise weniger die Männer, klagten während des Lockdowns darüber, dass sie sich weniger in die Zukunft des goldenen Zeitalters von New Work gebeamt fühlten, sondern vielmehr direkt zurück in die 50er Jahre. Der Gedanke Mama könne konzentriert arbeiten, während im Nebenzimmer das Kind friedvoll über Stunden alleine spielt, sich komplett eigenständig mit Lernportalen, Apps und YouTube gleichsam selbst unterrichtet, entpuppten sich in der Regel als Utopie. Schmerzlich wurden Eltern bewusst, dass Lernen eben nicht nur digital funktioniert und, dass der Nachwuchs sich vielleicht zwei Stunde mit einer schönen interaktiven App beschäftigt hatte, hinterher aber nur wusste, wie man das System zum Absturz bringt, den Lernstoff aber nicht im Geringsten verstanden hatte. Gut gemeinte Briefe von Schulen, die Eltern immer wieder versicherten, dass niemand von ihnen erwarte die Lehrkraft zu ersetzen, wurden als blanker Hohn verstanden, da ja genau das nötig war. Kinder laufen eben nicht einfach nebenher und räumliche Anwesenheit reicht kaum aus, um Kindern tatsächlich gerecht zu werden.

Bei Krippen- und Kindergartenkindern gestaltete sich die Sache noch schwieriger. Eltern versuchten sich hier so zu behelfen, dass sie sich den Tag teilten und ihren Job vor allem in den frühen Morgenstunden und am späten Abend erledigten – vorausgesetzt so viel Flexibilität wurde ihnen vom Arbeitgeber zugestanden. Zurück blieben allerorts gestresste Eltern und Kinder, genauer gesagt gestresste Frauen. Männern fiel es hier nachweislich leichter in alte Rollenmuster zurückzufallen und Haushalt und Kinder zur Frauensache zu machen.

Und dennoch sind nicht nur Kollateralschäden zu verzeichnen, der Lockdown war nicht nur eine Mission: Impossible.

Baumärkte und Möbelhäuser verzeichnen enormen Umsatzzuwachs, gekauft werden vor allem Büromöbel. So manch einer richtet sich im Homeoffice zu Hause gemütlich ein. Die Immobilienbranche beobachtet, dass der Run auf Häuser auf dem Land wächst, die Stadt scheint nicht mehr der Sehnsuchtsort schlechthin zu sein. Warum in beengten überteuerten Wohnungen in der Stadt leben, wenn man Haus, Garten und Natur günstiger auf dem Land haben kann.

Pendeln überflüssig … Viele Firmen denken über die Reduktion der Büroflächen nach. So mancher erlebt das Homeoffice als echte Alternative, die wenigsten wollen zurück zu einer ständigen Präsenzkultur. Viele Familien erzählen von dem neuen Zusammenhalt, den sie erfahren haben. Es ist wieder mehr Nähe entstanden, mehr Zeit füreinander.

Andererseits: Eltern sind in der Tat keine Lehrer und auch keine Erzieher. Nach wie vor ist die Vereinbarkeit von Familie und Job nur dann möglich, wenn Lernen und Kinderbetreuung outgesourct werden können. Das ist nicht nur pädagogisch und bildungspolitisch sinnvoll, es ist auch für die Wirtschaft nicht anders denkbar. Die im Lockdown erzwungene Anhäufung von Aufgaben für Frauen ist langfristig nicht aufrechtzuerhalten und stellt eine psychische und physische Belastung dar, die niemandem zuzumuten ist. Wer will, dass Kinder überwiegend im familiären Umfeld erzogen und betreut werden, der will die Herdprämie und keine Gleichberechtigung. Einen Rückfall in Zeiten, in denen man froh war, einen Kindergartenplatz von 09.00 Uhr bis 12.00 Uhr zu bekommen, kann keiner für die Mehrheit der Frauen ernsthaft wollen. Frauen wollen mehrheitlich arbeiten, zum einen, weil es wirtschaftlich nötig ist, zum anderen weil Arbeit Sinn stiftet, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht und weil es für die allermeisten Frauen heutzutage Teil eines erfüllten Lebens ist. Keine Kinder haben wollen die allermeisten jedoch auch nicht.

Doch wie verhält es sich mit dem viel gepriesenen Homeoffice und dem digitalisierten flexiblen Arbeiten? Ist es die Lösung? Das und mehr in unserem zweiten Teil BEREIT FÜR HOMEOFFICE 2.0