by Carmen Stehle

Wie verhält es sich mit dem viel gepriesenen Homeoffice und dem digitalisierten flexiblen Arbeiten? Ist es die Lösung?

Einerseits:

  • Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden spart Zeit und Geld. Fahrtwege und Fahrtkosten entfallen, ebenso das Mittagessen in der Kantine oder im Lokal.
  • Arbeitnehmer können sich die Zeit frei einteilen. Kinder abholen, Krankheitsfälle und Arztbesuche lassen sich einfacher in den Alltag einbauen.
  • Das Arbeiten zu Hause ermöglicht ein Höchstmaß an zeitlicher Flexibilität. Hier können Arbeitgeber ihren Tag individuell so stricken, dass ausreichend Freiräume für Kinder entstehen.
  • Das Leben auf dem Land mit all seinen Vorteilen wie Platz, günstigem Wohnraum, gesunder Luft und Natur zum Toben für die Kinder, scheint umsetzbar – ohne Pendeln und lange Arbeitswege in Kauf nehmen zu müssen.
  • Zu Hause herrsch – vorausgesetzt die Kinder können betreut werden – Ruhe. Konzentriertes Arbeiten, etwas wonach sich die allermeisten Arbeitnehmer sehnen, ist deutlich einfacher. Eine Vielzahl an Störungen entfallen, etwa der durch Großraumbüros ausgelöste Stress. Arbeitnehmer fühlen sich dadurch entspannter und können Erziehungsaufgaben gelassener angehen. Die Doppelbelastung wird leichter zu tragen.
  • Die Kommunikation mit Vorgesetzten und Kollegen*innen erfolgt zielgerichteter und planvoller, wodurch das Arbeiten effizienter und effektiver gestaltet werden kann. Auch das reduziert Stress.
  • Arbeitnehmer können selbstständiger und eigenverantwortlicher arbeiten und sich dadurch mehr mit dem, was sie tun identifizieren. Das schafft Zufriedenheit.

Andererseits:

  • Frauen denken ohnehin zu früh in ihrer Karriere an Familie und übernehmen oftmals weit vor Beginn der Familienplanung Positionen, die ein geringeres Engagement verlangen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragen zu können. In Firmen mit einer stark männlich dominierten Führungsstruktur akzeptieren sie zu schnell ihren Platz in der zweiten Reihe, anstatt sich in Männerrunden mit an den Tisch zu setzen, wenn es angemessen ist. Wenn aber die Option zum Arbeiten im Homeoffice vor allem für Frauen eine Alternative ist, dann verpassen sie zu Hause ungleich mehr die Chance sich an den genannten Tisch zu setzen.
  • Firmen, die stark von einer Präsenzkultur geprägt sind und in denen ein Meeting das andere jagt, werden sich schwertun Homeoffice auch Mitarbeitern in verantwortlicher Position zu übertragen. Altes Top-down-Denken kann dafür sorgen, dass Homeoffice als Flucht verstanden wird, als ein Ort für Teilzeitmamis, denen man eher das Nähmaschinen-Referat überantwortet, als eine Führungsposition.
  • Ebenso werden sich mit dem Homeoffice-Modell Firmen schwertun, in denen der Ruf nach Work-Life-Balance und Zeit für Familie als reine Drückebergerei verstanden wird. Homeoffice als Weg für Frauen trotz Kindern in die Führungsetage? An diesen Orten ist das sicher ausgeschlossen.
  • Zudem verlangt Homeoffice vor allem eins: Selbstdisziplin und Zeitmanagement. Statistiken zeigen: Mitarbeiter zu Hause können schlechter zwischen Beruf und Familie trennen und arbeiten mehr als verlangt. Zwei Faktoren, die eher nicht zur Reduktion der Belastung führen, sondern auch eine große Zerrissenheit zur Folge haben könnten, die wiederum Beruf und Familie gleichermaßen schaden. Homeoffice kann kein Allheilmittel sein. Soll das Arbeiten zu Hause tatsächlich einen Fortschritt für Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, dann kann dies nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich sein:
  • Homeoffice für Eltern passt nur in Firmen, die ehrlich offen für neue Arbeitsmodelle sind und denen die Förderung von Eltern ein echtes Anliegen ist. Das Umdenken hat begonnen, einige Firmen haben es längst begriffen, dass sie mit diesem Model die Attraktivität für kompetente Mitarbeiter steigern und deren Zufriedenheit erhöhen. Das bindet Mitarbeiter langfristig an Arbeitgeber.
  • Flache Hierarchien, Offenheit für die Nutzung digitaler Kommunikationsformen und Vorgesetzte, die planvoll agieren und klar kommunizieren können, sind unabdingbar für das Gelingen von Homeoffice.
  • Umgekehrt müssen sich Arbeitnehmer zu Hause als selbstständige Unternehmer in eigener Sache sehen, sich gut organisieren und auf digitalen Wegen die Kommunikation transparent aufrechterhalten.
  • Klare Absprache, Kommunikation auf Augenhöhe, Integrität und Zuverlässigkeit – kurz gesagt Vertrauen – sind auf beiden Seiten nötig.

FAZIT:
Nach wie vor bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine sehr individuelle Angelegenheit. Offenheit und der echte Wille jenseits von Vorurteilen und Unterstellungen echte Lösungen zu finden, scheinen unabdingbar. Nichtsdestotrotz wird das flexible Arbeiten unabhängig von Zeit und Ort immer mehr an Attraktivität gewinnen. Die Aufgabe ist, in den Firmen ein verstärktes Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – egal auf welche Art und Weise – keine ungeliebte, halbherzig ausgeführte Pflicht sein kann, sondern entscheidend für ein positives, produktives und nachhaltiges Betriebsklima ist, das zum wirtschaftlichen Erfolg führt.